Banner in Regenbogenfarben bei denen einzelne Farben in Form eines Kreuzes
            in die anderen Farben hineinragen. Der Umriss Münchens mit den Türmen der Frauenkirche
            ist unten ausgeschnitten.

CSD-Gottesdienste
der LGBTQIA+ Szene in München

 

Predigt 2025

von Pfarrerin Yvonne Renner, evangelisch-lutherische Friedenskirche Trudering

Liberté, Diversité, Gottesidée

zu Exodus 14, 5-14.21.29-30 und Lukas 4, 16-21

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

Du Gott, bringst Licht in mein Leben.
du machst alles Dunkle um mich hell.
Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.

So haben wir gerade im Psalm gebetet. Und gleichzeitig erleben wir Tag für Tag das Dunkel und die Mauern in unserer Gesellschaft.

Nicht erst, seit internationale Sponsoren vom CSD in München und vielen anderen Städten abgesprungen sind oder Donald Trump aller Diversität den Kampf angesagt hat. Auch in unserem eigenen Land nehmen die Mauern wieder zu, ich sage nur zunehmende rechte Gesinnung oder keine Regenbogenflagge dieses Jahr auf dem Bundestagsgebäude. Da war die Mauer doch schon mal übersprungen, da hat die Fahne doch schon mal geweht. Unsere Gesellschaft war doch schon mal bunter, konnte es schon mal besser.

Woher der Umschwung? Ich weiß, dass das Thema höchst ist, mache an dieser Stelle aber keine Parteipolitische Debatte auf. Aber Ich frage mich: Was das Ist mit den Mauern In Köpfen und Herzen?

Wir kommen In die Hotellobby. Der Koffer klackert, während ich Ihn über die glänzenden Fliesen hinter mir herziehe. Wir treten an den Tresen. „Wir möchten gerne einchecken, Renner der Name.” sage ich voller Vorfreude auf unser Wellnesswochenende. Mir kommt ein Lächeln entgegen. „Herzlich willkommen.” höre Ich. „Wir freuen uns Ihnen und Ihrer Schwester ein schönes Wochenende voller Verwöhnprogramm bieten zu können.”

Bäm. Es trifft mich mitten in die Magengegend. „Ihnen und Ihrer Schwester”. Nein. Einfach Nein. Wir haben den gleichen Nachnamen weil wir verheiratet sind. Ich bin erstmal sprachlos. Meine Frau kennt mich nach all den Jahren gut genug und sagt mit einem vieldeutigen Grinsen: „Ich bin Ihre Ehefrau und hoffe, dass das Verwöhnprogramm dann noch besser wird.”

„Oh, Entschuldigung” ertönt es kleinlaut. „Ich dachte … Bitte entschuldigen Sie. Hier erstmal Ihre Zimmerkarten …” Das Gespräch geht belanglos weiter und meine Frau regelt das Gott sei Dank für uns, während Ich versuche, meine Wut, Enttäuschung, was auch immer, klar zu kriegen.

Auf dem Zimmer bricht es dann aus mir heraus: „Schon wieder diese Vorurteile, diese Mauern In den Köpfen der Menschen. Warum fragen die nicht einfach, wie wir zueinander stehen oder lassen es einfach und sagen „Sie und Ihre Begleitung” oder was auch immer. Aber immer dieses Zwangsouting. Ich bin es so leid.”

Ja das bin Ich. Ich bin die sozialisierten Bilder in den Köpfen der Menschen und die daraus resultierenden Mauern leid. Wen man liebt, welchem Geschlecht sich Frau zuordnet, wie dey angesprochen werden möchte. Ich würde mir wünschen, das wäre alles schon viel normaler.

Viele von euch, die heute hier sitzen, kämpfen schon so lange dafür, dass Diversität Normalität ist. Ich bin so dankbar für euch, die ihr seit Jahrzehnten für eure, für unsere Rechte einsteht. Nur deswegen kann ich so frei leben, wie ich es tue. Und meistens ist das auch kein Thema. Ich lebe einfach. Und ich lebe gut. Mit meiner Frau im Pfarrhaus mit kleinem Garten am Stadtrand. Spießig könnte man sagen. Und doch laufe ich ab und zu gegen eine Mauer aus Vorurteilen, Rollenbildern, sozlalisierten Vorstellungen, wie eine Frau, wie eine Ehe, wie eine Pfarrerin zu sein hat. Wie damals im Hotel.

Und dann war da das letzte Konfiwochenende. 75 Konfirmand*innen und 20 weitere Jugendliche in einer Jugendherberge mit der Diakonin, meiner Frau, die auch Pfarrerin ist, und mir. Das Wochenende verläuft wie geplant und die Abfahrt steht an. Alle sollen Ihre Taschen in den Bus laden, Schuhe und Jacken nicht vergessen. Aber natürlich bleibt was liegen. Als alle im Bus sind mache ich einen Kontrollgang durchs Haus und finde auf der Bank neben dem Speisesaal liegend, eine lindgrüne, relativ kleine Jacke und einen weißen Schal durchzogen von gold-glitzernden Fäden. Ich gehe im Kopf die Mädchen aus meiner Gruppe durch. Wir waren zuletzt im Speisesaal. Irgendeiner davon muss es gehören.

Ich nehme die kleine Jacke und den glitzernden Schal, er riecht süßlich. Welches Mädchen habe ich zuletzt mit dieser Jacke gesehen, frage ich mich innerlich und steige in den Bus. „Wem von euch fehlen Jacke und Schal?” frage ich laut durchs Busmikro. Da steht Matthias auf und kommt zu mir gelaufen. „Sorry” sagt er „hab ich wohl liegen gelassen. Danke, Frau Renner”

Bäm. Es trifft mich mitten in die Magengegend. Es gehörte keiner der Mädels. Jacke und Glitzerschal gehören Matthias. Ich bin gegen meine eigene Mauer im Kopf gelaufen, meinen eigenen sozialisierten Bildern auf den Leim gegangen. Ich bin erstmal sprachlos.

Wir fahren los und nach ein paar Kilometern sage ich kleinlaut: „Ich war mir sicher, die Jacke gehört einem Mädchen. Wie dumm von mir. Es war die von Matthias. Matthias weiß vielleicht noch nicht ob er schwul ist, nonbinär, trans oder queer. Oder ob er sich einfach als Mann labelt, der gerne eine kurze, Iindgrüne Jacke trägt und einen gold-glitzernden Schal.

Aber Ich weiß, dass meine Bilder im Kopf doch nicht so queer sind, wie Ich dachte.”

Meine Frau sitzt neben mir und sagt mit einem Lächeln: „Sei gnädig mit dir. Auch du bist In dieser Gesellschaft sozialisiert. Aber du hast es gemerkt und kannst draus lernen.”

Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.

Ja, auch ich hab diese Mauern im Kopf und bin vor Vorurteilen und Schubladendenken nicht gefeit. Aber ich versuche es jeden Tag, die Mauern zu überspringen. Und ich weiß, Gott hilft mir dabei. Gott gibt mir die Kraft, jeden Tag neu die Bilder zu überdenken und dafür einzustehen, dass Mauern übersprungen werden.

Liberté, Diversité, Gottesidée. So lautet das Motto dieses Gottesdienstes, angelehnt an das diesjährige CSD-Motto Liberté, Diversité, Queerité. Natürlich klingen da die großen Versprechungen der Französischen Revolution an, die Mauern durchbrechen wollten.

Mit meinem Gott kann ıch über Mauern springen, sagt uns aber was noch viel Größeres.

Freiheit, Diversität, Queerness und über allem steht die Idee Gottes von uns Menschen. Die Idee, dass jeder Mensch einzigartig ist, bunt, vielfältig und schön. Von Gott gemacht und geliebt. Um zu sein, wer man will, um zu lieben wen frau will, um zu feiern wie dey will.

Jenseits aller Vorurteile, aller sozialisierten Bilder und Mauern sind wir geliebte Menschen Gottes, die über Mauern springen können.

Das haben wir als queere Menschen in der Geschichte auch schon erlebt:

1969 zum Beispiel, mitten in der Nacht, in einer dunklen Kneipe mit dem Namen Steinmauer, oder auch Stonewall-Inn in der Christopher Street in New York City. Eine Razzia und die Gegenwehr des schwulen Bar-Publikums führte schließlich zu einer weltweiten Bewegung für die Rechte queerer Menschen und wird als Wendepunkt im Kampf für Gleichbehandlung und Anerkennung gesehen.

Gute 15 Jahre später, am Abend des 2. Mai 1985, in einer kleinen Kirche mit Namen Kreuzkirche in Schwabing in München. Ein ökumenischer Gottesdienst veranstaltet von der Arbeitsgruppe „Homosexuelle und Kirche” im Rahmen der 1. Lesbisch-Schwulen Kulturwoche „Viorosa”. Er rückt das Leben von queeren Menschen in die öffentliche Sichtbarkeit innerhalb der Stadtgesellschaft und innerhalb der Kirche. Ich weiß nur aus Erzählungen, wie das damals für die Menschen war und dass sich der eine oder die andere so gefühlt hat, als könne dey mit Gott über Mauern springen. (Wir haben davon heute schon von Wolfgang gehört ...)

Nur wenige Jahre später 1989 fiel die Berliner Mauer. Als Theologiestudentin in Berlin bin ich immer wieder an den letzten Resten vorbeigekommen. Es hat mich fasziniert, wie kunterbunt diese Mauerreste angemalt sind. Nicht trist und grau, sondern bunt und vielfältig. Ich hab gesehen: Mauern können bunt sein und Mauern können fallen.

Wir haben erlebt, wie eine weltweite Bewegung von einer kleinen Gruppe in der Stonewall-Bar ausgehen kann und wie Menschen sich hier in München und anderswo seit Jahrzehnten engagieren, bei Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen für queere Menschen, nicht nur - aber auch am Christopher Street Day.

Und Ja, trotzdem sind wir auch mit den Mauern in Köpfen und Herzen konfrontiert, in der heutigen Gesellschaft, mit den rechten Tendenzen und der Unsichtbarmachung der Diversität.

Aber an einem Tag wie heute erleben wir auch die Gemeinschaft hier am CSD, die bunte Sichtbarkeit, die Verbundenheit der Konfessionen im Abendmahl. Wir erleben, dass Mauern durchlässig sein können und dass sie übersprungen werden können. Wir bekommen die Kraft aus der Gemeinschaft miteinander und mit Gott, um die Mauern abzubauen, die im eigenen Kopf und die da draußen. Kraft, sie zu überspringen oder bunt anzumalen.

Bunt soll es sein, auf den Straßen, in den Köpfen und in den Herzen. Denn Gott liebt es bunt. Gott selbst hat den Regenbogen In die Wolken gesetzt.

Im Lied gleich werden wir hören:

Für mich bist du viel mehr als Irgendein Herr – danke dafür.
Mittendrin und nicht nur dabei machst du mich frei.
Als beste Freundin (und) jedermann,
der anderen mutig beistehen kann,
bist du so unendlich viel mehr als irgendein Herr.
Und wer dich wirklich finden will,
findet dich im Mitgefühl des einen, der mit Herzblut liebt.

Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen. Amen.